Christine und Johannes Lötz
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Naturrecht

Wenn man sich mit dem Recht auseinandersetzt, muss man zunächst einige Begriffe klären, die in dem Rahmen der Diskussion immer wieder auftauchen, in ihrem Inhalt aber häufig nicht ganz klar sind. Zunächst geht es um das Recht, lateinisch „jus“. Die lateinischen Worte sind deshalb hier aufgeführt da sie insbesondere in mittelalterlichen Texten auftauchen und manchmal etwas schludrig übersetzt sind. Das Recht ist ein Objekt, welches mit Objekten verknüpft ist. Ein Objekt ist ein Gegenstand mit wohldefinierten Eigenschaften. Grundsätzlich ist das Recht ein abstraktes Objekt, als solches also nicht dinglich vorhanden. Dinglich vorhanden ist es erst wenn es festgeschrieben ist, dann nennen wir es ein Gesetz (lateinisch ’lex‘, Mehrzahl ‚leges‘).

Allerdings gibt es auch Gesetze, die nicht festgeschrieben sind, aber trotzdem vorhanden sind. Das sind die Naturgesetze, die wir an Hand der Physik erkannt und als richtig eingeschätzt haben. Die Naturgesetze sind nach einer in der Wissenschaft vorherrschenden Methode entdeckt worden, dem kritischen Naturalismus. Auf ganz wenigen Grundsätzen aufbauend, die nicht bewiesen werden müssen (Axiome), schaut sich diese Methode die Natur an und entwickelt aus dem Erkannten eine Gesetzmässigkeit, deren Wahrheitsgehalt an der Natur wieder verifiziert werden muss. Wenn es einen Widerspruch gibt, muss das erkannte Gesetz fallengelassen werden und durch ein neueres besseres ersetzt werden. Naturgesetze haben deshalb keinen rechtlichen Hintergrund sondern einen logischen, der in der Regel mathematisch erfasst ist. Die Mathematik bildet dabei eine wichtige Klammer, da sie eine beschreibende und entwickelnde Rolle spielt. Manche naturwissenschaftlichen Erkenntnisse sind erst über die Mathematik und deren Logik erkannt worden.

Die Erkenntnis Newtons über die Fallgesetze („Der Apfel fällt immer nach unten“) hat letztlich das Gebäude der physikalischen Gravitationslehre aufgerichtet. Faradays Arbeiten über die Elektrizität haben die elektromagnetische Wechselwirkung als Lehrgebäude errichtet. Da wir keinen Sinn für Elektrizität haben, mussten wir erst geeignete Messinstrumente dafür schaffen. Dazu sind im Rahmen der modernen Atomforschung die schwache und die starke Wechselwirkung hinzugekommen. Alle vier Bereiche, die die gesamte Physik umschreiben (früher Mechanik Optik usw.), haben eine sichtbare innere Verwandtschaft (z.B. mathematische Feldtheorie, Relativitätstheorie, Quantentheorie), deren Eigenschaften in der grossen vereinheitlichten Theorie zusammengefasst werden sollen, an der momentan mit allen Kräften geforscht wird. Zielwunsch ist die Weltformel, die alle physikalischen Gesetze enthält.

Die Naturgesetze gelten überall und zu jeder Zeit und sind unabänderlich. Sie können schriftlich niedergelegt werden als Definition, sind aber nicht fähig die Naturgesetze zu ändern. Die Erkenntnis der Naturgesetze hat unser Weltbild in der Geschichte stark verändert, weil die Vorstellungen über unsere Welt früher schlicht falsch waren („Erde als Scheibe und Mittelpunkt des Universums“, „Harmonia mundi“). Ob unsere heutigen Vorstellungen der Wahrheit entsprechen, muss sich erst noch herausstellen, für uns scheint es zu stimmen, die Altvorderen hatten die gleiche Meinung: Columbus sollte auf seiner Reise nach Indien entsprechend den damaligen Vorstellungen über den Rand der Erde fallen. Er fand aber Amerika!

Naturgesetze haben mit dem Naturrecht soviel gemeinsam wie Äpfel und Birnen, also gar nichts. Das Naturrecht kann man also damit nicht erklären, das muss über eine andere Linie gehen. Die Naturgesetze sind vorhandene Gesetze, also „leges“, ohne den Rechtsanspruch, also kein ‚jus‘: Wunder waren damit nicht möglich. Die Physik, nach unserem Verständnis, ist im ganzen Weltall gültig.

Eine andere Form des Gesetzes sind die Gesetze, die wir unbedingt benötigen um den Umgang in der Gesellschaft zu regeln. Die menschliche Gemeinschaft ist darauf angewiesen, solche Gesetze zu haben, damit wir gesittet miteinander leben können und nicht das Recht des Stärkeren um sich greift. Diese Gesetze sollen den schwächeren Menschen schützen und ein Leben in Würde ermöglichen. Vorausgesetzt: jeder Mensch wäre ein Egoist, würde er seinen Vorteil durchsetzen. Da er aber alleine den Unbilden des Lebens ausgesetzt wäre, erkennt er die Notwendigkeit gegenseitiger Hilfe, altruistischer Regeln, Altruismus als Naturgesetz!. Diese Regeln bieten einen Vorteil im Weiterleben, müssen aber vereinbart werden.

In der Rechtswissenschaft gibt es unterschiedliche Methoden wie Recht gesprochen wird. Hier in Deutschland wird das Recht in kodifizierter Form benutzt. Es werden also Gesetze erstellt, die thematisch in Rechtbüchern abgelegt werden. So gibt es die unterschiedlichsten Rechtswerke, die das Zusammenleben der Menschen festlegen, z.B.: das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), welches das Zivilrecht beinhaltet oder das Strafgesetzbuch (STGB), welche bei Verfehlungen und Verbrechen die Strafen festlegt. Solche kodifizierte Regeln sind von der Legislative (dem Bundestag oder Bundesrat) festgelegt und werden von der Judikative (den Gerichten) als Rechtsgrundlage verhandelt. In der katholischen Kirche gibt es das CIC ( ‚codex iuris canonici‘), welches den Umgang der verschiedenen Menschen innerhalb der Kirche regelt.

Im angelsächsischen Bereich gilt im wesentlichen das Fallrecht. Es gibt nur wenige kodifizierte Regelungen, die Gerichte urteilen nach früheren Fallentscheidungen, die in großen Bibliotheken gesammelt sind. Ansonsten wird der Einzelfall nach „Recht und Gerechtigkeit“ individuell entschieden. Kodifiziertes Recht, sprich Gesetze, gibt es nur wenig. Das Fallrecht kann allerdings ebenso als kodifiziertes Recht angesehen werden, da es ja faktisch niedergeschrieben ist.

Das bekannteste kodifizierte Recht sind die zehn Gebote des alten Testaments, welche von Gott selbst stammen. Deshalb enthalten sie auch eine Regelung, wie mit Gott umgegangen werden soll. Allerdings sind das nicht die ältesten, es gibt mittlerweile weit ältere durch Ausgrabungen erhaltene Gesetze, die aber ähnliche Inhalte besitzen, zumindest ab dem 4. Gebot. Es zeigt aber, dass schon immer Gesetze notwendig waren, um das Leben in einer Gemeinschaft so zu regeln, dass ein gewisser (Rechts)Friede möglich war.

Allein aus der Rechtsgeschichte wissen wir, dass kodifiziertes Recht nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss war. Man braucht dazu gar nicht weit zurück zu gehen. Die Gesetzgebung des Dritten Reichs war von falschen Gesetzen gespickt. Das war zwar im Sinne der Machthaber aber nicht in Sinne der übrigen Menschheit. Es gab also sowohl richtiges Recht, wie auch falsches. Nur ist hier die Frage, wie falsches Recht erkannt und nachgewiesen wird und wer das tun soll, wenn das höchste Gut nicht die Gerechtigkeit, sondern wie im Dritten Reich der ‚Volksnutzen‘ ist.

In der Rechtsphilosophie wird kodifiziertes Recht auch als positives Recht bezeichnet. Dem steht das nicht positive Recht gegenüber, welches als Naturrecht bezeichnet wird. Das Naturrecht ist ein Recht, welches in der Natur der Sache oder des Menschen liegt. Das Naturrecht erkennt die Ungerechtigkeit einer Handlung und soll diese vermeiden. Aus diesen Grunde wird es als über dem positiven Recht stehend angesehen. Das Naturrecht wurde schon frühzeitig erkannt, in der Antike war es als ethisch wünschenswert angesehen (Platon).

Thomas von Aquin hat auf Aristoteles aufbauend eine christliche Sicht der Welt entwickelt, die insbesondere Gott (bei Aristoteles war das der „unbewegte Beweger“) als Schöpfer aller Dinge, als die Ursache alles Seins darstellte. Aristoteles war ein Universalgelehrter seiner Zeit und hat eine Beschreibung seiner Weltsicht abgeliefert. Die entspricht nicht unbedingt unserer Weltsicht und hat für Jahrhunderte eine Entwickelung möglicherweise verhindert. So lehrte er die 4-Elemente-Lehre. die alles dingliche Sein auf letztlich die Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer reduzierte (und nicht auf das heute vorherrschende Periodensystem der Elemente). Diese Lehre galt bis ins 17. Jahrhundert (Robert Boyle) als unumstösslich. Viele Schriften Aristoteles sind untergegangen, die Überlieferung ging von den Griechen über die Araber (Islam, Averroes) und die römische Kirche. Thomas von Aquin hatte so auch nicht mehr die gesamte Lehre des Aristoteles zur Verfügung. So soll er die Lücken durch eigene Werke aufgefüllt haben und vervollständigte so die Weltsicht. Diese wurde von ihm mit christlichem Gedankengut (Dogmatik) erweitert und bildete die Grundlage seiner „Summa Theologica“ (Gesamtwissen der Theologie), sein wichtigstes Werk überhaupt, welches bis in die Neuzeit Bedeutung behielt. Kaum ein Priester kennt dieses Werk nicht, im Priesterseminar ist es ein Standardwerk und erstaunlich leicht zu lesen.

Aus dieser Sicht heraus entwickelte er auch ein Naturrecht (lex aeterna), welches heute die Grundlage des katholischen Naturrechts bildet. Danach ist das Naturrecht naturgegeben und an den Menschen gebunden, aber letztlich, da alles von Gott erschaffen wurde, ein von Gott erschaffenes und damit gewünschtes Recht, welches aber durch den Menschen mit seiner Vernunft erkannt werden kann und damit auch angewendet werden kann. Die Vernunft erkennt das wesenhaft Gute, auf das der Mensch hin geordnet ist. Insofern sind die zehn Gebote eine Norm, die aus dem Naturrecht abgeleitet werden kann. Ebenso sind die natürlichen Triebe zur Fortpflanzung und die zur Gemeinschaftsbildung notwendigen Institutionen, wie Ehe und Staat, auf das Naturrecht gegründet.

Die Schwäche dieser Überlegungen liegt in dem ideellen Naturrecht. Die Kritik setzt an den biblischen Ereignissen an, die das Naturrecht verletzen und damit Widersprüche aufdecken. Hier seien drei genannt, die das Naturrecht unterlaufen (Fischer Lexikon der Philosophie): Der Befehl Gottes an Abraham, Isaak zu töten, der Befehl an Hosea, sich mit einer Hure zu verbinden und der Befehl an die Juden, bei ihrem Auszug aus Ägypten die Ägypter zu plündern. Thomas von Aquin gelingt dies nur, indem er die Anwendung der Norm auf einen individuellen Fall ausschließt. Die Tötung betrifft nur die ungerechte Tötung, nicht aber die Notwehr und die Tötung auf Befehl Gottes. Nur die ungerechte Wegnahme von Dingen sei Diebstahl oder Raub, während die Ägypter noch eine Schuld zu begleichen hatten. Hosea habe letztlich die Hure zur Frau genommen, was auf göttlichem Befehl geschah und keine Unzucht war. Für die Ausnahmen gelten aber die gleichen Regeln wie für die Normen, sie müssen erkennbar sein und den Widerspruch aufzulösen ist hier niemals gelungen. Die Ansichten des Thomas von Aquin waren bis zur Aufklärung Allgemeingut der damaligen Welt und wurden und werden von der Kirche mit allen Mitteln verteidigt.

Die Aufklärung schaffte ganz neue Ansichten über die Menschen. Man erkannte, das jeder Mensch neben den Pflichten auch Rechte besaß, die in seiner Natur liegen, Rechte die unteilbar, unveräußerlich und universell sind. Die unterdrückten niederen Stände im damaligen Feudalsystem wurden damit faktisch aufgewertet, mussten aber auch darum kämpfen (Stichwort: französische Revolution und deren Folgen). Damit änderte sich die Lehre vom Naturrecht mehr in die Richtung der Menschenrechte:

Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit
Schutz vor Folter, Menschenversuchen, Zwangssterilisation, Zwangskastration
Schutz vor Körperstrafen, Prügelstrafen, Ehrenstrafen, Züchtigung
Recht auf Freiheit, Eigentum, Sicherheit der Person
Recht auf Handlungsfreiheit
Schutz vor willkürlichen Eingriffen (Unverletzlichkeit der Wohnung, Briefgeheimnis etc)
Recht auf Meinungsfreiheit
Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Religionsfreiheit
Recht auf Reisefreiheit, Informationsfreiheit, Versammlungsfreiheit
Recht auf Berufsfreiheit
Rechtsschutz, Recht auf ein faires Verfahren, Anspruch auf rechtliches Gehör
Keine Strafe ohne Gesetz, Unschuldsvermutung
Recht auf Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, angemessener Lohn
Familienschutz (Schwangere, Mütter, Kinder)
Recht auf angemessenen Lebensstandard und Nahrung
Recht auf Gesundheit, Bildung und Kultur

In der Folge gab es die Bestrebungen die Menschenrechte auch durchsetzbar zu machen. In amerikanischen Unabhängigkeitserklärung finden sie den ersten Wiederhall. Damit verlassen sie aber auch den Weg des Naturrechts, welches nicht positiv ist und deshalb nicht kodifizierbar ist. Außerdem galten nicht alle Rechte für jeden, sie galten beispielsweise nicht für Indianer und Sklaven und in Amerika gibt es noch immer die Todesstrafe. Die Menschenrechte sind auch teilweise eher erwünschte Rechte, die natürlich zu nennen nicht erlaubt wäre; deren Gültigkeit ist nur durch positives Recht zu erreichen. Dies findet man deshalb häufig in den Verfassungen wieder, meist unter Unterlassung des Wortes Gott. Eine rühmliche Ausnahme bietet unser Grundgesetz. Es beginnt in der Präambel mit dem Satz: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…“, was ein eindeutiger Bezug auf Gott ist. Die Verfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft beginnt mit den Worten: Im Namen Gottes des Allmächtigen!

Mit Kant finden wir einen tiefen Einbruch im Naturrecht. Seine Erkenntniskritik schließt jeglichen allgemeingültigen Maßstab aus, der im Menschen begründet sei, ebenso ließ die Vernunft als Quelle keine ethischen Prinzipien zu. Damit wich das Naturrecht einer mehr rechtsethischen Anschauung und das Recht wurde rein positivistisch. Das änderte sich dann nach dem 2. Weltkrieg. Die Erfahrungen des dritten Reiches ließen das Gedankengut von Thomas von Aquin als richtig erscheinen, da es faktisch kein Regulativ gegen falsche Gesetze (Rassegesetz, Euthanasie) gegeben habe. Interessant in diesem Zusammenhang ist die 1946 formulierte Radbruch’sche Formel. Danach hat sich ein Richter bei einem Konflikt zwischen dem positiven (gesatzten) Recht und der Gerechtigkeit immer dann – und nur dann – gegen das Gesetz und stattdessen für die materielle Gerechtigkeit zu entscheiden, wenn das fragliche Gesetz entweder

als unerträglich ungerecht anzusehen ist oder
das Gesetz die im Begriff des Rechts grundsätzlich angelegte Gleichheit aller Menschen aus Sicht des Interpreten bewusst verleugnet
Hier taucht lediglich der Begriff der Gerechtigkeit auf, die für Radbruch ein wichtiges Moment der Rechtsprechung war.

Das heutige Naturrecht ist weiterhin naturgegeben, oder im Wesen des Menschen liegend. Es setzt voraus, dass es einen Menschen gibt, der ein Eigentum über seinen Körper besitzt. Damit besitzt er auch das Recht und die Pflicht zu leben. Als zweites wird eine Gemeinschaft von Menschen vorausgesetzt, die miteinander leben. Bei der Nutzung von gemeinsam benutzten Gütern kann es Eigentumskonflikte geben. Das Naturrecht soll diese Konflikte zu vermeiden helfen. Das Mittel dazu ist die Vernunft, die den Konflikt zum Guten führt. Menschenrechte sind dabei erwünscht, aber nicht zwingend notwendig. Eine Verfassung und somit eine Staatsgewalt ist in dem System machbar, das Rechtssystem darf aber nur ‚richtiges Recht‘ zulassen. ‚Falsches Recht‘ wird durch das Naturrecht als solches erkannt und soll unterbleiben. Das positive Recht, wie auch eine Verfassung haben sich dem Naturrecht unter zu ordnen. Das Naturrecht ist unteilbar und für jeden gleich und zeitlich oder räumlich unveränderlich gleich. Der theologische Hintergrund ist für die Rechtsphilosophie entfallen, für die Kirche ist er weiterhin gültig.

Es gibt aber nicht nur ein Naturrecht sondern deren mehrere, was das Ganze etwas schwierig macht. Wenn wir vom katholischen Naturrecht sprechen, meinen wir eher das gottgegebene Naturrecht. Das kann in einer anderen Religion natürlich von dem Katholischen abweichen, da dort Gesichtspunkte ganz anders gesetzt werden.

Das Naturgesetz hat aber eine wichtige Eigenschaft, es ist überpositiv, steht also über allem übrigen Recht, jedenfalls für denjenigen der das beansprucht. Das kann aber nur im Rahmen eines Kulturkreises sein, der das genau so sieht. Da die katholische Kirche einen universalen Anspruch in unserer „Multi-Kulti-Welt“ vertritt, ist ein weltkatholisches Naturgesetz möglicherweise schwierig zu definieren. Definieren darf man es aber wiederum nicht, da es sonst positives Recht wird. Daran erkennt man schon, wie schwierig die Materie ist. In dieser Abhandlung beschränken wir uns bewusst auf die Rechtsphilosophie, da die Religion oder die Theologie das Thema zu komplex machen.

Rechtsnormen benötigt man in der Regel nicht, wenn danach gehandelt wird. Erst wenn Unrecht geschieht, werden sie bedeutungsvoll. Da Unrecht ist, was eine Gemeinschaft vernünftiger Menschen verletzt, wird mit der Vernunft als Erkenntnisquelle das Naturrecht zu einem Vernunftrecht, das auch dann gilt, wenn Gott nicht existieren sollte ( Grotius ). Hier wird die Gemeinschaft benutzt um das Unrecht zu erklären. Ein Naturrecht ist also für eine Gemeinschaft gültig und in ihr für jeden gleich. Das ist in einer multikulturellen Welt, wie wir sie um uns herum haben, möglicherweise ein Problem. Deshalb muss man, wenn man von einem katholischen Naturgesetz spricht, dieses auf den Kreis der Katholiken begrenzen. Deren Ansichten sind nicht ohne weiteres übertragbar. Das Naturrecht kann so nicht allgemein gültig sein.

Konzentrieren wir uns also auf das Katholische Naturrecht, welches besser als neuthomistische Sozialethik bezeichnet werden kann. Einige Eigenschaften haben wir schon herausgearbeitet, einige müssen noch geklärt werden. Eine Eigenschaft war der Inhalt des Naturrechts. Das kann nicht für alle Menschen gleich sein, weil es z.B. kulturbedingt Abweichungen gibt. Ein Teil dieses Naturrechts ist das Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Das ist in den Menschenrechten verankert und bildet ein Grundgerüst des Naturrechts. Aus diesem Grunde finden wir die Menschenrechte in vielen Verfassungen garantiert und teilweise auch in positives Recht umgesetzt. Das Naturrecht im eigentlichen Sinne sollte aus der Natur des Menschen Maßstäbe ergeben, die ein Urteil über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des positiven Rechts erlauben. Möglicherweise ist das nicht ganz gegeben, da dieses Recht teilweise kodifiziert wurde. Das führt uns auf die nächste Eigenschaft, die Geltung des Naturrechts. Ist das Naturrecht ein unmittelbares Recht, welches jegliches entgegenstehendes positives Recht bricht oder ist das eher ein Idealrecht, welches erst durch den Gesetzgeber in geltendes Recht gewandelt werden muss?

Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Eigenschaften die uns Menschen auszeichnen: die Vernunft und der Wille. Die Vernunft postuliert ein Naturgesetz, welches unabhängig von Ort und Zeit überall gilt, der Wille dagegen fordert ein Naturgesetz, welches erst durch einen Willensakt geschaffen wird, aber dessen Schaffung als unabdingbar notwendig angesehen wird. Damit geht es um die Frage ob dem Naturgesetz ein Willensakt vorausgeht oder ob die Normen jedem Willensakt vorausgehen. Vor diesem Hintergrund ist die philosophische Entwickelung des Naturrechts zu verstehen. Platon hat diese Fragen mit dem ideellen Naturrecht beantwortet, was sich bis ins Mittelalter als christliches Naturrecht gehalten hat. Aristoteles wiederum hat vorrangig die Vernunft gefordert. Auf ihn beruft sich Thomas von Aquin. Das Naturrecht ist danach die ‚Lex Aeterna‘ (Ewiges Gesetz), die die Ordnung alles Seienden nach dem in der Vernunft, in der Weisheit Gottes (bei Aristoteles der unbewegte Beweger) beschlossenen Ideen bestimmt. Demnach wohnt in allen Dingen die göttliche Güte und in den Menschen zusätzlich die Vernunft. Die Menschen können Kraft der Vernunft das Naturrecht erkennen.

Johannes Duns Scotus (um 1266 in Duns, Schottland;  8. November 1308 in Köln) hat dazu eine konträre Lehre entwickelt, die dem Willen den Vorrang gibt. Alles außer Gott ist gut, weil es von Gott so gewollt ist. Jeder Wert wird auf den Willensakt Gottes zurückgeführt. Damit bleibt für das Naturrecht letztlich aber nur Gott selbst, für den das Verbot des Hasses oder das Gebot der Liebe gilt. In letzter Konsequenz führt das Naturrecht auf einen Positivismus, der alle positivistisch bestimmten Werte leugnet. Wilhelm von Ockham (* um 1288 in Ockham in der Grafschaft Surrey, England; † 9. April 1347 in München) geht da noch weiter: Gott kann den Hass gegen sich selbst befehlen, und wenn er es tut, ist dieser Hass gut und verdienstlich. Soziale Normen sind nur noch positive Gesetze ohne geschöpflichen Wert. Das Naturrecht besteht nur noch aus biblisch geoffenbarten Geboten und Verboten und verliert so die nicht positive Eigenschaft des Naturrechts und damit die des Naturrechts selbst. Der Wille als Voraussetzung des Naturrechts führt letztlich auf keine Lösung.

Was bleibt also vom Naturrecht. Die Rechtsphilosophie hat es auf einen Weg entwickelt, der nach Thomas von Aquin von der Kirche nicht mehr mitgetragen wurde. Die Kirche ist Thomas treu geblieben. Aus diesem Grunde muss sich die Kirche auch gefallen lassen, dass ihre Naturrechtslehre nicht mehr wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Zu viele Ungenauigkeiten und Zweideutigkeiten haben sich nach kritischer Betrachtung eingeschlichen, als dass von einem einheitlichen Lehrgebäude ausgegangen werden kann. So ist es für den kritischen Naturalismus undiskutabel geworden. Man kann eher von einer neuthomistischen Sozialethik sprechen. Hier müssen Fachleute ran. Den Gläubigen den Vorwurf zu machen (im Rahmen der Erklärungen zur Bischofssynode), die Aussagen der katholischen Naturlehre nicht zu kennen, muss entschieden widersprochen werden. Sie wird häufig genug im Rahmen der Predigten zitiert, wie oben gesagt, jeder Priester kennt seinen Thomas von Aquin. Diese Lehre muss auf eherne Füße gestellt werden, sonst ist sie angreifbar.

Alle Versuche einer „wissenschaftlichen“ Argumentation ergehen sich in nicht nachvollziehbaren dialektischen Auseinandersetzungen, denen ein Normalchrist kaum folgen kann, wie soll er der Lehre dann glauben können, geschweige sie erkennen können? Einen ähnlich harten Prozess musste auch der Streit um den (biologischen) Darwinismus (Evolution durch Änderung und Auslese über Jahrmillionen) durchmachen, dem der Kreationismus (biblische Genese als 7000 jährige geschichtliche Tatsache) gegenüberstand. Der Urknall (Big Bang, Theologe und Physiker Georges Lemätre) lässt den Schöpfergott immer noch zu, wenn auch etwas anders, als in der Bibel beschrieben. Der Glaube bewegt sich zwischen (biblischer) Mythologie und dem Realismus. Die Mythologie ändert sich nicht mehr, der Realismus infolge der Erkenntnis umso mehr. Da hat die Kirche gelernt, wie man am Prolog zur Christmette sieht.

Johannes Lötz, 14.8.2014, noch in Arbeit

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