Christine und Johannes Lötz
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Die Stimmung in der abendländischen Musik

Die abendländische Musik entstammt aus uralten Zeiten, archäologisch sicher nachgewiesen bei Pythagoras, der sich neben vielen anderen Themen auch mit Musik befasst hat. Musik war zu seiner Zeit ein Teilfach der Mathematik. So ist es nicht verwunderlich, dass sich um die Musik auch diverse mathematische Probleme ranken, wir kommen darauf zurück.

Zu Pythagoras Zeiten waren die Zahlen, so wie wir sie heute kennen noch nicht vollständig bekannt. Man kannte die ganzen Zahlen sowie die Brüche, wenn diese auch mit ganzen Zahlen dargestellt wurden. Brüche mit ganzen Zahlen sind die rationalen Zahlen (Ratio ist lateinisch der Bruch). Genau in die Zeit der alten griechischen Mathematik fiel die Erkenntnis, dass neben den bekannten Zahlen weitere Zahlen existierten, die wir heute irrational nennen, da sie nicht durch einen Bruch darstellbar sind (z.B. Wurzelzahlen). Diese Zahlen waren Pythagoras nicht bekannt und er hätte sie wahrscheinlich nicht akzeptiert. Genau dies führte zu einem Bruch des Pythagoräerbundes, nachdem diese Erkenntnis kaum zu beseitigen war. Der Beweis gelang ausgerechnet mit dem Geheimzeichen des Bundes, des Pentagramms. Der beschränkte Horizont im Bereich der Zahlen führte zu solch (falschen) Erkenntnissen, das alles ganze Zahl sei, und somit unter Berücksichtigung der ganzzahligen Brüche mindestens durch einen ganzzahligen Bruch erklärbar sei. Ganzzahlige Brüche wurden auch harmonisch („ähnlich klingend“) genannt. Darin drückt sich das „Teilgebiet“ der Mathematik, die Musik aus. Saiten, die in einem ganzzahligen Verhältnis ihrer Länge stehen, klingen nämlich „miteinander ähnlich“ also harmonisch. Die Harmonie gilt als so interessant, das noch bis heute mit ihr viele Dinge erklärt werden, auch wenn die Grundlagen teilweise abstrus sind (z.B. in der Esoterik).

Das harmonische Zusammenklingen von Musik, resp. Noten, hat seine durchaus physikalischen Gründe. Harmonische Saitenlängen erzeugen harmonische Töne (Frequenzen). Diese Töne sind durch Sinusschwingungen erklärbar, die die Eigenschaft der Periodizität, sprich der zeitlichen Wiederholungen haben. Wenn nun eine Frequenz in eine andere hineinpasst, also diese Frequenzen in einem harmonischen Verhältnis stehen, haben diese periodisch wiederkehrend gleiche Phasen. Links sind drei Sinuswellen aufgezeichnet: 1., 2.und 3. Oberwelle. Die zweite Oberwelle passt genau zweimal in die erste Oberwelle, die dritte Oberwelle genau dreimal. Entscheidend ist, dass immer nach genau n Durchgängen der Sinuswelle beide Frequenzen die gleiche Amplitude haben müssen. Wenn diese Frequenzen nur wenig aus der Harmonie laufen, hört man Schwebungen. Jeder der ein Musikinstrument kennt, ist damit durchaus vertraut: in diesem Fall muss das Instrument gestimmt werden.

Das Verhältnis der Oberwellen hat einige Besonderheiten: Zwischen der 8. und 9. Oberwelle handelt es sich um einen Ganzton, der größer ist als der Ganzton zwischen dem 9. und 10. Oberton. Solche Verhältnisse gibt es bei den Obertönen zuhauf. Das Verhältnis des 8.zum 9. und 9. und 10. Oberton ist 81:80, was das syntonische Komma genannt wird. Die Obertonreihe enthält jeden Ton einer Oktave. Leider sind diese aber mehr oder weniger abweichend von der temperierten Stimmung (sowie auch von der reinen). Mit etwas Tabellenarithmetik in Excel kann man dies leicht nachprüfen, eine schöne Aufgabe für einen Nachmittag. Die Quinten und Terzen sind dabei auffällig nahe der gewünschten Stimmung. Bei einem angenommenen Grundton von A (440 Hz) ist insbesondere das F in der Obertonreihe mit ausreichender Genauigkeit erst im 202. Oberton zu finden. Die Abweichung beträgt dabei 5 Hz bei 5582 Hz, was wohl einigermaßen zu verschmerzen ist. Die Obertonreihe macht für eine reine Stimmung etwas Sinn aber auch nicht unbedingt viel.

Wenn wir hier von harmonischen Verhältnissen sprechen, haben wir es mathematisch mit Divisionen und Multiplikationen zu tun. Dies ist für viele Blickwinkel geeignet. Es hat aber auch Bedeutung andere Rechenoperationen wie eine Addition zu ermöglichen. Damit dies gelingt, hat man für einen musikalischen Halbtonschritt die Größe 100 Cent eingeführt. Gleichzeitig ist es möglich die Frequenzverhältnisse in Cent umzurechnen. Dies ist eine Transformation mittels des Logarithmus, da eine Multiplikation unter dem Logarithmus einer Addition der logarithmierten Faktoren entspricht (Rechenschieberprinzip). Eine Oktave entspricht 12 Halbtönen = 12 * 100 Cent = 1200 Cent = lb(2/1)*1200 Cent. lb ist dabei der Logarithmus zur Basis 2. Dabei ist die heute übliche gleichstufige Stimmung unterlegt.

Wie ist aber unser abendländisches Musiksystem entstanden? Nun zu Pythagoras Zeiten Kannte man die harmonischen Verhältnisse ganz gut, unter anderem auch die Quinte (z.B. C-G), welche das harmonische Verhältnis 3:2 hat. Wenn man nun fortlaufend eine Quinte über die andere schichtet, kommt man mit der zwölften Schichtung wieder auf den Anfangston, allerdings in einer höheren Oktave (der siebten). Eine Oktave hat das Verhältnis 2:1. Diese 12-fache Schichtung der Quinten (=Quintenzirkel) hat allerdings einen kleinen Schönheitsfehler: Dar Ausgangston wird nicht genau getroffen, sondern leicht daneben. Diese Tondifferenz nennt man das Pythagoräische Komma und entspricht 23,5 Cent (=531441/524288).

Der Quintenzirkel ist somit der Grund für unser Zwölftonsystem. Andere Kulturen (Fernost) kennen auch andere Systeme, die uns aber etwas gewöhnungsbedürftig sind. Allerdings kennen diese Tonsysteme auch nicht die Probleme unseres Tonsystems, darauf möchte ich aber hier nicht eingehen. Ein Problem unseres Tonsystems ist somit das Pythagoräische Komma. Ein weiteres Problem ist das syntonische Komma, welches aus der Obertonreihe entsteht. 2:1 ist die Oktave, wie schon oben erklärt wurde. 3:1 ist die Oktave plus einer Quinte. Wenn diese eine Oktave niedriger genommen wird, also durch zwei geteilt, kommt man auf die Quinte über dem Grundton, wie auch schon oben erklärt wurde. 4:1 ist dann wiederum eine Oktave (wie auch 8:1, 16:1, 32:1 etc). In der Obertonreihe findet man letztlich auch alle zwölf Töne des Systems wieder, allerdings mit einem Haken: Die Töne der Obertonreihe sind abhängig von dem Grundton. Wenn der Grundton verändert wird, haben Obertöne mit dem gleichen Tonbuchstaben (aber anderer Oktave) kein harmonisches Verhältnis). Der siebte zum achten Oberton bildet einen Ganztonschritt, ebenfalls der achte zum neunten. Die Verhältnisse dieser Töne sind aber unterschiedlich (8:9 und 9:10), aber keinesfalls gleich, wie es sein sollte. Der Unterschied dieser Teiltöne (81:80) der Obertonreihe wird syntonisches Komma genannt und entspricht 21,5 Cent. Wie man in der nebenstehenden Tabelle sieht, gibt es starke Differenzen in der Frequenz zwischen der reinen Stimmung und der heute üblichen gleichstufigen Stimmung. Das führt zu einer Unspielbarkeit bestimmter Tonlagen, die durch Kompromisse ausgeschlossen wurden: Man komponierte nur in bestimmten Tonlagen. In der Tabelle ist auch die entstehende Differenz des Quintenzirkels zu erkennen, das pythagoräische Komma.

In früheren Elektronenorgeln wurden Dauertongeneratoren genutzt. Es gab zwölf Tongeneratoren mit den höchsten benutzten Tönen, die durch Frequenzteiler die weiteren Töne in absteigender Reihenfolge oktavweise herunterteilten. Die zwölf obersten Tongeneratoren waren freischwingend und die Archillesferse der Instrumente. Sie mussten höchst genau und stabil konstruiert werden. Später gab es dann eine integrierte Schaltung, die aus einem Quarz mit hochstabiler und hoher Frequenz mit Teilung durch relativ krumme Werte die zwölf Obertöne generierte. Hier wurde die Erkenntnis genutzt, dass nur durch Teilung mit hohen Werten eine ausreichende Treffsicherheit bei der Stimmung erreicht wird.

Es gibt noch weitere Differenzen, die aber für die weiteren Auslegungen nicht so interessant sind. Beide Kommata sind letztlich die Gründe für die Verbesserungsvorschläge, die im Laufe der Zeit unser Musiksystem verändert haben. Grundlage aller Tonsysteme ist auf jeden Fall die Obertonreihe. Damit wird die erste Stimmung festgelegt. Diese hat den schon oben erwähnten Nachteil: Richtig klingen kann diese Stimmung nur in der Tonart, die durch den Grundton festgelegt wird. Musik in allen anderen Tonarten klingt teilweise unschön, als wäre etwas verstimmt. Die reine Stimmung ist somit nur für die Töne zu gebrauchen, die in der Grundtonart vorkommen.

Das Dilemma ist, dass man einen Kompromiss finden muss, der dem Musikempfinden entspricht. Die Reinheit der Oktave zu opfern verbietet sich in jedem Fall, da man sonst keine vernünftigen Verhältnisse zwischen den Oktaven hat. Also muss man bei den anderen Tonverhältnissen Einschnitte machen die möglichst nicht weh tun.

Bei der mitteltönigen Stimmung mit reinen Oktaven und reinen Terzen traf man die Ansprüche vom 16 Jhd. Man stimmte die ersten 4 Quinten etwas niedriger als die reine Quinte, nämlich um ein Viertel des syntonischen Kommas. Die durch die vier (erniedrigten) Quinten letztlich erzeugte Terz ist damit rein. Für die Ãœbrigen Quinten wird gleich verfahren bis auf die Zwölfte. Diese ist und bleibt unbrauchbar („Wolfsquinte“), das ist der Nachteil dieser Stimmung. Die Größe des syntonischen Kommas ist nicht sehr groß. Da dieses auf jeweils vier Quinten verteilt wird, ist der Unterschied kaum merkbar, es entsteht eine langsame Schwebung. Bezieht man die Stimmung auf den Grundton C, kommt die Wolfsquinte der Tonart C gefährlich nahe. Deswegen beginnt man mit „Es“. Die Wolfsquinte liegt dan bei „Gis-Es“, eine Ecke, in der man dies nach damaliger Sicht dulden kann. Es gibt 12 Tonkombinationen, die als nicht brauchbar gelten. Diese liegen aber in Bereichen, die faktisch nicht genutzt wurden, da man nur Tonarten mit wenigen Erhöhungs- oder Erniedrigungszeichen verwendete.

Eine zweite Form der mitteltönigen Stimmung verteilt ein Drittel des syntonischen Kommas auf drei Quinten, was dann eine reine kleine Terz erzeugt. Die Wolfsquinte gibt es auch hier und der Grundton ist wieder „Es“, damit die Wolfsquinte in ungefährliche Ecken kommt. Es gibt hier nur 11 unbrauchbare Tonkombinationen.

Andreas Werckmeister(1645-1706) war ein Organist und Musiktheoretiker der Barockzeit. Von ihm ist nur ein Heft mit Kompositionen erhalten geblieben. Seine Bedeutung ist die Entwickelung der wohltemperierten Stimmungen. Er beschrieb sie in Büchern, die zur Kinderzeit von Johann Sebastian Bach veröffentlicht wurden. Bach hat diese Anleitungen Werckmeisters kongenial in die Tat umgesetzt („Das wohltemperierte Klavier“ Band 1 und 2). Was war die Idee Werckmeisters? Als erstes fegte er die Vorherrschaft der Terzen hinweg. Dann tüftelte er an einem System, welches das pythagoräische Komma vermied, was den wesentlichen Beitrag zur Wolfsquinte leistete. Er fand vier Möglichkeiten dies zu erreichen:

Werckmeister I:

die Quinten „C-G“, „D-A“, „E-H“ und „H-Fis“ werden um ein Viertel des pythagoräischen Kommas enger gestimmt, alle anderen Quinten bleiben rein.

Werckmeister II:

die Quinten „C-G“, „D-A“, „E-H“, „Fis-Cis“ und „B- F“ („Ais-Eis“) werden um ein Drittel des pythagoräischen Kommas enger gestimmt, die Quinten „Gis-Dis“ und „Es-B“ („Dis-Ais“) um ein Drittel weiter, alle anderen Quinten bleiben rein.

Werckmeister III:

Die Quinten „d-a“, „a-e“, „fis-cis“, „cis-gis“ und „f-b“ („eis-ais“) werden um 1/4 des pythagoreischen Kommas enger gestimmt, die Quinte „gis-dis“ um den gleichen Wert zu weit, die anderen bleiben rein.

Werckmeister IV:

Die Quinten „c-g“, „h-fis“und „b-f“ (ais-eis“) werden um 1/7, die Quinte „fis-cis“ um 2/7, die Quinte „g-d“ um 4/7 des pythagoreischen Kommas zu eng, die beiden Quinten „d-a“ und „gis-dis“ um 1/7 des pythagoreischen Kommas zu weit gestimmt, die anderen bleiben rein.

Es ist natürlich zu beachten, dass es im Barock keine elektronischen Stimmhilfen gab. Deswegen orientieren sich diese Stimmanweisungen auch an der Praxis. Abweichungen von der reinen Stimmung mussten durch Schwebungen ausgezählt werden. Die einzelnen Dur- und Molltonarten bekommen durch diese Stimmungen entsprechend unterschiedliche Eigenschaften, die einem Musikstück evt. einen mehr oder weniger ausgeprägten Charakter verleihen. Insofern kann es durchaus sein, dass für bestimmte Kompositionen die Musikinstrumente entsprechend zeitgenössisch eingestimmt werden müssen. Vorbedingung ist dies aber nicht!

Wie schon oben erwähnt, hat Bach die Möglichkeiten der wohltemperierten Stimmung ausgenutzt. Mit der herkömmlichen Stimmung wären solche Stücke wie die Chromatische Fantasie und Fuge undenkbar ebenso wie viele Fugen, die mit chromatischen Läufen durch alle Tonarten Dur/Moll gespickt sind.

Ein (möglicher) Schüler von Bach war der Musiktheoretiker und Komponist Johann Philipp Kirnberger. Er versuchte sich auch an dem Problem der wohltemperierten Stimmung. Sein erster Vorschlag kürzte die Quinte „D-A“ um das syntonische Komma und die Quinte „Fis-Cis“ um das Schisma (das ist die Differenz zwischen dem pythagoräischen und syntonischen Komma). Alle anderen Quinten bleiben rein. Diese Stimmung hat den entscheidenden Nachteil, das die Quinte „D-A“ unbrauchbar ist, aber diverse Terzen in reiner Stimmung vorliegen.

Der zweite Vorschlag verteilt das syntonische Komma zur Hälfte auf die Quinten „D-A“ und „A-E“, sonst bleibt alles wie im ersten Vorschlag. Dies ist gegenüber dem ersten Vorschlag eine Verbesserung, da jetzt alle Quinten spielbar sind.

Eine dritte Verbesserung verteilt das syntonische Komma auf die Quinten „C-G“, „G-D“, „D-A“ und „A-E“, sonst bleibt alle gleich. Damit wurde das syntonische Komma auf weitere Quinten verteilt, was eine noch bessere Verschmelzung der Töne brachte. Diese Version Kirnberger III ist die ausgeglichenste.

Heute ist die wohltemperierte Stimmung durch die gleichstufige Stimmung abgelöst. Alle zwölf Tonschritte der Tonleiter sind um 1/12-tel des pythagoräischen Kommas tiefer gestimmt. Es gibt genügend Stimmhilfen, sodass eine Stimmung eines Instruments nicht mehr problematisch ist. Stimmgeräte sind in der Lage für die zwölf Töne der Tonleiter die Stimmung nach Wahl vorzugeben, ob rein, mitteltönig, wohltemperiert oder temperiert.