Christine und Johannes Lötz
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Das Zölibat

Im Rahmen der Missbrauchsdiskussion der katholischen Kirche hat der Bischof von München-Freising Kardinal Marx  im Februar 2022 die Aufhebung des Zölibats vorgeschlagen. Im April 2015 habe ich diesen Artikel veröffentlicht, der sich schon damals mit der Problematik auseinander gesetzt hat. M.E. ist er nach wie vor aktuell, weshalb ich ihn hier eingestellt habe. An einigen Stellen habe ich ihn etwas aktualisieren müssen:

Eines der ersten biblischen Gebote ist das Gebot, was Adam und Eva von Gott bekommen hat: “ Seid fruchtbar und mehret euch und macht euch die Erde untertan, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht Über die Fische des Meeres über die Vögel des Himmels und über alle Tiere die sich auf dem Land regen.“  (Gen 1,28) Es gibt noch viele weitere Stellen in der Bibel, die auf das Verhalten der Menschen Einfluss nehmen, wir werden hier und da einige Stellen erwähnen. Aber dieser erste Auftrag ist ein sehr wichtiger, da er die Erhaltung der Spezies Mensch sichern soll. Nach heutigen Erkenntnissen gehört die Geschichte um Adam und Eva zur Mythologie, wie auch die Ausgabe des genannten Gebotes. Es ist aber eine grundsätzliche Regel, die die Natur auf Grund welchen Ursprungs auch immer eingerichtet hat. Evolutionär betrachtet wurde Flora und Fauna so entwickelt, dass sie sich auch unter den Bedingungen der Konkurrenz optimal verbreiten konnten.

Die Erde hat eine Kugeloberfläche, die zu 2/3tel vom Meer beherrscht wird. Landmassen und Wassermassen sind also begrenzt und nicht unendlich vorhanden. Das hat wiederholt auch zum Aussterben von Spezies geführt, die für das Leben unter Konkurrenzbedingungen nicht optimal ausgerüstet waren. Die Erdgeschichte hat sich also nicht in den Kategorien der Bibel entwickelt, sondern in den Kategorien von Mutation und Auslese nach Darwin. Die Bibel beginnt mit der Menschheitsgeschichte 7000 bis 6000 vor Christus. Zu der Zeit entwickelte sich die biblische Geschichtsüberlieferung erst im Wort und dann in der Schrift. Im sechsten Kapitel Genesis erscheint dann Noah auf der biblischen Bühne, der mittlerweile auch archäologisch als wirkliche Person identifiziert ist, wie auch die Sintflut mittlerweile als archäologische Tatsache erwiesen ist, allerdings nicht in den biblischen Ausmaßen. Es ist also nicht alles in der Bibel Mythos. Der Mythos setzt da an, wo die Überlieferung nicht mehr vorhanden ist, diese Zeit aber doch erklärt werden muss, also spätestens dann, wenn die schriftliche Überlieferung beginnt. Heute wissen wir durch die Erkenntnisse der Quantentheorie weit mehr über die Entstehung des Universums und unserer Erde, dass wir teilweise die Aussagen der Genesis getrost ad acta legen können.

An der Stelle gibt es dann die ersten weiteren Ge- und Verbote in der Bibel. Sie gehen in der Regel von Männern oder Frauen aus, die einer göttlichen Offenbarung unterlagen. So finden wir im Buch Levitikus hauptsächlich die Regeln des jüdischen Priestertums, welches sich im Stamm Levi subsummierte. Hier finden sich viele Regeln, die auch heute noch von der Kirche und allgemein als gültig anerkannt sind. Sie wurden also vom Judentum schlicht übernommen. Schon damals gab es Ehehindernisse für Priester, allerdings kein Zölibat, wie in der römisch katholischen Kirche. Die Bestrafung bei Übertretungen war allerdings sehr hart. Insbesondere mit untypischem sexuellen Verhalten wird dort sehr streng umgegangen. Homosexualität wird als schwerste Sünde mit dem Tode bedroht, weil das nicht natürlich sein soll. Die Kirche hat dies übernommen und stellte dies als verboten und krankhaft dar. Die Psychologie war in ihren Anfängen nicht besser und selbst heute gibt es noch Vertreter der Auffassung, dass Homosexualität heilbar sei. Seit 1872 gab es im deutschen Strafgesetzbuch den Paragraphen 175, der Homosexualität unter Strafe stellte. Abgeschafft wurde dieser Paragraph erst 1994, da sich die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass es nicht nur die „richtige“ Sexualität gab, sondern auch andere Formen, die einfach in der Anlage der Menschen bestehen und nicht therapierbar sind. Insofern sind die Aussagen des Buches Levitikus sehr kritisch zu beurteilen.

Das Zölibat ist ein Versprechen ein Leben in Ehelosigkeit zu führen. Diese Versprechen gehen einige Personen ein die in den christlichen Kirchen gewisse Lebensentscheidungen treffen. Dieses gilt in der römisch Katholischen Kirche insbesondere für Geistliche und Angehörige von Orden. Das war nicht immer so. In der urchristlichen Gemeinde gab es möglicherweise schon ein Enthaltsamkeitszölibat. Ein Verheirateter konnte so zum Priester geweiht werden, musste dann aber in Enthaltsamkeit leben. Dieses Enthaltsamkeitszölibat wurde auf der Synode von Elvira (303) herausgegeben. Das war damals möglicherweise eine freiwillige Lebensform, die aber nicht unbedingt eingehalten wurde. Die apostolischen Konstitutionen aus dem 4. Jhd. untersagte Priestern die Ehe mit Frauen bestimmter Stände. Das Konzil von Toledo untersagte Priestern eine dritte Ehe und Papst Gelasius eine zweite. Wie muss es bei Geistlichen ausgesehen haben? Papst Leo der Große führte das Zölibatsversprechen der Priesteramtskandidaten bei der Weihe zum Subdiakon ein. Das Zölibat ist also keine urchristliche Form der Geistlichkeit. Nebenbei, in der Renaissance feierte mancher Papst und Bischof fröhliche sexuelle Urstände mit Erlaubnis der Kirche trotz Zölibat. Von den Jüngern Jesu ist auch auszugehen, dass sie durchaus eine Familie hatten.

691 wurde in der Orthodoxie ein anderer Weg beschritten. Priester können heiraten, werden dann aber von einer Karriere abgeschnitten; sie bleiben ein Leben lang Ortspope. In der Regel müssen sie neben ihrer seelsorgerischen Tätigkeit ihren Lebensunterhalt durch einen Nebenjob verdienen, die orthodoxe Kirche hat dafür kein Geld, da es keine Kirchensteuer gibt. Bischöfe müssen das Zölibatsversprechen abgeben, sind aber in der Regel Ordensangehörige, die sowieso zölibatär leben. In der Orthodoxie wird die Theologie von Laien gepflegt, Priester genießen nur eine kurze Ausbildung, die nicht einmal einer Universität bedarf.

In 11. Jhd. wurde in der katholischen Kirche das strenge Ehelosigkeitszölibat eingeführt.  Papst Benedikt VIII. ordnete 1022 die Ehelosigkeit der Priester an. Verstöße wurden mit Kirchenstrafen geahndet und verheirateten Priestern wurde Amt und Besitz entzogen. Die Begründung war die kultische Reinheit, da Priester täglich eine Messe lasen. Außerdem konnten Priestern ihren Kindern Erbschaften hinterlassen, die zum Kirchenbesitz gehörten. Kinder von Geistlichen galten deshalb als unfrei und gehörten der Kirche. 1031 wurde das Verbot herausgegeben, Geistliche oder deren Kinder zu heiraten. 1059 wurde Priestern, die ein  notorisches Konkubinat pflegten, verboten, die Messe zu lesen. Die Priester wehrten sich in Deutschland vehement gegen diese Gesetzgebung. Allerdings fanden sie keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Die hatte unter den Missbrauchstendenzen wie Vetternwirtschaft (Nepotismus), Ämterhäufung (Simonie) und Machtmissbrauch der Kleriker zu leiden. Im zweiten Laterankonzil (1139) wurden schließlich Nägel mit Köpfen gemacht. Die Priesterweihe wurde zu einem trennenden Hindernis gemacht, was sie bis heute ist. Schlupflöcher gab es aber offensichtlich immer noch, wie wir aus der Renaissance wissen. Das Recht ließ einen päpstlichen Dispens zu. In gewissen Jahrhunderten war das auch gegen Geld zu haben.

Es gibt viele Begründungen für das Zölibat, genannt wurde schon die kultische Reinheit. Eine weitere Begründung ist die biblische Ehelosigkeit Jesu, wie auch die Ehelosigkeit des Hl. Paulus, der dies als erstrebenswert ansieht. Aus dem schon oben erwähnten erbrechtlichen Gründen wird so dem Vererben von kirchlichen Ämtern und dem möglichen Verlust kirchlichen Eigentums vorgebeugt. Das Zölibat dient auch dazu die gesellschaftliche Stellung des Priesters zu heben. Durch das besondere Opfer der Ehelosigkeit hebt sich das Priesteramt aus der grauen Masse hervor und der Priester bekommt ein höheres Ansehen, es sei denn, er missbraucht seine Amtsmacht. Da der zölibatäre Priester keine häuslichen Verpflichtungen hat, kann er sich mehr um seine Schäfchen kümmern. Diese Argument sticht nicht sehr; ein Junggeselle muss sich immerhin auch um seine Wohnung kümmern: Waschen, Putzen und Kochen. Für letzteres hat ein Priester häufig eine Haushilfe, eine Person, die es auch nicht sehr leicht haben kann; Frauen im Hause eines Priesters stehen schnell unter einem unangenehmen Verdacht.

Das Zölibat hat aber auch negative Seiten. Ein Priester hat von einem Eheleben keinen blassen Schimmer, außer von dem, was er von seinen Eltern kennt, was er an Erfahrungen in seiner Jugend gemacht hat, was allgemein erlesen werden kann, oder was er innerhalb der Beichte hört. Das ist aber weitestgehend Theorie und keine Praxis. Allerdings könnte in mancher Ehe ein breiteres Wissen über die Ehe nicht schaden, vielleicht wäre die Scheidungsrate um einiges kleiner. Den Drang zum Ausleben des Menschseins, Sexualität gehört schließlich auch dazu, ist dem Priester nicht vergönnt. Die Verstöße gegen das Zölibat haben vermutlich eine hohe Dunkelziffer, ebenso wie Missbrauchsfälle an Mitbrüdern oder Untergebenen. Priester sind halt auch nur Menschen. Neuere Untersuchungen ergaben, dass der Anteil der Priester mit sexuellem Missbrauch gleich dem Anteil der Laien sei. Damit entfällt jeglicher Verdacht, dass das Zölibat einen Faktor darstellen könnte. Bei Priestern geht man von einer Vorbildfunktion aus, das macht den Missbrauch zu einem unentschuldbaren Vergehen.

Das Zölibat stand und steht immer in der Diskussion. Die Anlässe sind aber sehr unterschiedlich. Momentan geht es um den Priesternachwuchs und die Frage, ob die Möglichkeit einer Ehe mehr Priesteramtskandidaten generiere. In der Orthodoxie ist das ja möglich, es herrschen dort aber andere Randbedingungen: Job zum Lebensunterhalt und Priester für die Seelsorge. Wenn ich mir den Arbeitsalltag des Pfarrers in unserer Gemeinde anschaue, wäre das undurchführbar. Wenn, ja wenn es dann wirklich ausreichend Priester gäbe, dass der Hang zu Pfarrverbünden und Pfarrgruppen rückgängig wäre, könnte das eine Lösung sein. Dann muss aber auch der Arbeitsmarkt für Pfarrerjobs attraktiv sein; da sehe ich schwarz. Abgesehen von der Tatsache, dass der Pfarrer dann auch einen anständigen Job erlernen muss.

Eine der 10 Prüfungen des Odysseus auf seiner Irrfahrt (Odyssee) durch das Mittelmeer nach dem Sieg über Troja war die Durchfahrt durch die Enge zwischen Skylla und Charybdis. Charybdis saugt dreimal am Tag das Wasser ein und spuckte es wieder aus und war gefährlicher als ein Strudel. Skylla war ein sechsköpfiges Ungeheuer, welches Menschen fraß. Egal wie es kam, man konnte die Enge nicht passieren. Bei der Frage des Zölibats  erscheint mir die Situation die gleiche. Die Konsequenzen der Entscheidung sind nicht zu überblicken und kaum reversibel. In solchen Fällen wird die Kirchenverwaltung sehr konservativ („keine Experimente“). Insofern ist der Schritt von Kardinal Marx bemerkenswert. Man kann auf die Reaktion aus Rom gespannt sein!

Johannes Lötz, 3.2.2022